Energie III

Hast Du schon mal mit Freunden Deine Gaben und Fähigkeiten gefeiert, die Du nicht hast? Ich auch nicht. 

Thomas Härry erzählt von einem solchen Fest und wie unglaublich befreiend es war seine Grenzen zu feiern und zu wissen, dass es andere Menschen gibt, die uns entsprechend ergänzen. 

Ich mag Persönlichkeitstests; DISG, StrengthsFinder, Myers-Briggs, SIMA,… Als wir 2017 während unserer Jüngerschaftsschule den Myers-Briggs-Test machten, dachte ich zuerst: „Ich brauche das nicht. Ich kenne mich gut genug.” Doch dann war es doch wieder eine enorme Bereicherung, auch gerade für unsere Ehe. (Ich habe dazu sogar einen Blogeintrag geschrieben.) Sich selbst besser zu verstehen, hilft auch andere besser zu verstehen und kann allgemein zu mehr Verständnis in Beziehungen führen. 

Als ich mich mit dem Konzept der “Redemptive Gifts” beschäftigte, kam mir bei einer bestimmten Gabe ein Freund in den Sinn. Ich sandte ihm als Ermutigung ein Video dazu. Er bestätigte, dass er etwas von dieser Gabe habe, aber auch noch von anderen. 

Interessanterweise schreibt Paulus die Verse in Römer 12,6-8 nicht in dieser Mischform, sondern er ordnet klar zu: ”…hat jemand jene Gabe, dann über er sie aus.”  Es steht eben nicht: “Dies sind die Gaben, die es gibt. Übt euch darin, möglichst viele davon anzuwenden.” Nein, Gott hat uns bewusst begrenzt geschaffen, damit wir uns brauchen und ergänzen müssen. Unsere Begrenzungen zu kennen ist heilsam. 

StrengthsFinder fokussiert sich bewusst auf unsere Top 5 Stärken. Mit Tests haben sie herausgefunden, dass man zwar mit viel Training stärker werden kann in Dingen, die einem nicht leicht fallen, aber wenn man in seinen Stärken trainiert wird, ist die Verbesserung um ein vielfaches grösser. Wenn man dann noch in seinen Stärken leben kann, dann ist die Chance gross, zu brillieren. 

Warum haben wir Angst davor, einseitig und limitiert zu sein? Es macht uns verletzlich und ergänzungsbedürftig. Aber könnte es nicht sein, dass sogar Gott limitiert und ergänzungsbedürftig ist oder zumindest, dass er sich selber limitiert und ergänzungsbedürftig gemacht hat? Auf jeden Fall liess er es noch nicht wachsen, bevor nicht jemand da war, der die Erde bearbeiten konnte.  Er hat sich selbst verletzlich gemacht. Wenn nicht seit dem Urknall, dann bestimmt bei seiner Fleischwerdung.

Ich habe schon oft gehört, dass Gott uns nicht braucht. Davon bin ich nicht überzeugt. Vielleicht hätte er eine Welt schaffen können, in der er uns nicht gebraucht hätte, aber ich glaube, das hat er nicht. Und überhaupt: Nicht braucht wofür? Um den Planeten zu retten? Wozu braucht er uns nicht? Ist es nicht vielmehr so, dass dieses “Brauchen” Ziel seiner Schöpfung war? Dass er ganz bewusst sich darauf einliess von uns abhängig zu sein, weil es Beziehung auslöst und ausmacht? Zumindest begrenzt auf Raum und Zeit. 

Ich habe einmal eine wunderschöne Interpretation von Genesis 2,18 gehört: “Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist.” Dies ist kein Fehler in der Schöpfung, sondern eine universale Regelsetzung Gottes. Er hat dieses “nicht gut” ganz bewusst als eine Realität festgelegt. 

Die Energie der Identität ordne ich der Gabe des Lehrens zu. Sie ordnet ein, ordnet zu, verfeinert, bestimmt, klassifiziert,… und befreit uns davon, alles sein zu müssen. Dazu passend finde ich den Tisch der Schaubrote. Wir zerkleinern das Brot zuerst mit unseren Händen, dann mit den Zähnen, dann mit unserem Magensaft, bis es im Dünndarm so stark in Einzelteile zerkleinert ist, dass es ins Blut aufgenommen werden kann. 

Im Blut ist das Leben. Die Gabe des Lehrens hilft uns, unseren Anteil zu erkennen und zu verfeinern, bis wir es in täglichen Portionen ins Leben in der Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen einspeisen können. Je besser es uns gelingt, unseren Teil zu erkennen, akzeptieren und umarmen, desto weniger stehen wir in der Gefahr, der dazugehörigen Todsünde zu verfallen; dem Neid. 

Vielleicht sollte ich wirklich mal so ein Fest der Begrenzung feiern. Wärst Du dabei?

Shabbat Shalom!

Energie II

Kürzlich stiess ich beim Bibellesen auf eine Aussage, die ich noch nie so wahrgenommen habe. Gott lädt 74 Männer ein, sich ihm zu nahen. Mose, Aaron, zwei von Aarons Söhnen und 70 der Ältesten des Volkes gehen zu Gott auf den Berg. Und dann steht dort: “und sie schauten Gott und assen und tranken.” (2. Mose 24,11 ELB)

Erstens finde ich es besonders, dass sie Gott schauten. Was bedeutet das genau? Wie sah er aus? Und was ist mit “niemand hat Gott je gesehen” (Joh. 1,18)? Aber mal abgesehen, von der Frage, wie das mit dem “Schauen” ging, sprach mich ihre Reaktion auf diesen unglaublichen Moment an: sie assen und tranken! Was assen sie? Woher kam das Essen? Aber warum essen und trinken und nicht am Boden liegen und anbetend Lieder singen?

Aber es passt so gut ins biblische Narrativ. Als “die Fülle Gottes leibhaftig” (Kol. 2,9) unter den Jüngern war, assen und tranken sie auch häufig zusammen. Auch gerade vor dem Höhepunkt der christlichen Geschichte, dem Tod und der Auferstehung Christi, essen sie zusammen und Jesus nutzt das gemeinsame Essen und Trinken, um ein Ritual zu seiner Erinnerung einzuführen, das meiner Meinung nach viel zu stark vergeistigt wurde, anstatt es mit allen Sinnen zu erfahren und zu feiern.

Die Begegnung mit Gott sollen wir mit Genuss verbinden. Die Begegnung mit Gott ist Genuss. Und zwar mit allen Sinnen. Aber klar, nicht nur mit den fünf Sinnen: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein…” Aber eben auch vom Brot. Jesus, kaum aus Bethlehem, dem Haus des Brotes (BJT LCM, 2_10_400 30_8_40, TW490, בית לחמ) Er nennt sich selbst das Brot. Sein Brot führt zur Vollkommenheit ( TMJM, 400_40_10_40, TW490, תמימ). Die tiefgreifende, volksverändernde Begegnung mit Gott kommt nach dem Mahl auf dem Berg, als Mose zu ihm in die Wolke hinein steigt. Die tiefe Begegnung mit Gott kommt, wenn wir satt und sicher sind. Dann können wir die empfangene Energie auf ihn ausrichten und in seinem Sinne hineinwirken in die Gesellschaft. Behalten wir aber die Energie für uns und nutzen sie nur für uns, dann wird der Genuss mit den fünf Sinnen zur Völlerei, der zweiten Todsünde. 

Zuerst Suppe und Seife, dann werden wir bereit seine Worte zu hören, die unser Inneres nähren und uns Seelenheil bringen werden. “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.” (5. Mose 8,3) 

Rabbi Friedman erzählt eine wunderschöne Geschichte von der Prinzessin, die einen Bauern heiratet. Sie ziehen zusammen auf seine Farm. Er gibt sich alle erdenkliche Mühe, der Prinzessin alles zu geben, was sie braucht. Kartoffeln, Karotten, ein dichtes Dach über dem Kopf. Trotzdem wird die Prinzessin immer unglücklicher. Als er sich schlussendlich doch durchringt sie zu fragen, was ihr denn eigentlich fehlt, erzählt sie ihm vom Leben am Hof. Dort gab es einen wunderschönen, botanischen Garten mit allen möglichen fremdartigen Pflanzen, Musiker kamen und erfüllten die Hallen mit berührenden Klängen, Dichter stimulierten den Intellekt mit ihrer Poesie. Sie vermisste den Königshof. 

Dies ist ein Bild für den Körper, der unsere Seele, die Prinzessin, beheimatet. Auch wenn wir ihr alles geben, was sie braucht, dass sie in uns wohnen kann, aber wir vergessen Musiker, Poeten und Wissenschaftler einzuladen, die ihr etwas von dem bringen, das sie von zu Hause kennt, dann wird sie vergrämen. Könnte es nicht sein, dass unsere Jugend und eigentlich die ganze Gesellschaft an diesem Heimweh erkrankt sind? Unsere höchsten Gesundheitskosten werden von psychischen Erkrankungen ausgelöst. Der Schweizer Körper ist verwöhnt, aber die Volksseele leidet. 

Unsere Heimat ist im Wort, im Logos, in Jesus Christus, in Gott dem Schöpfer. „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ (Römer 11,36, LUT). Suppe und Seife allein sind nicht genug. Wir sehnen uns nach unserer Heimat in Gott. Wir verlangen nach dem Reich des Himmels.